Entwicklung prosozialen Verhaltens

Prosoziales Verhalten bezieht sich sowohl auf Situationen, in denen unmittelbare Hilfeleistungen notwendig sind wie auch auf lebensfördernde, erst langfristige Veränderungen bewirkende Verhaltensweisen.

Häufig werden drei Klassen von Motiven unterschieden, die für positives Verhalten förderlich sind. Erstens kann man durch den Wunsch, sich selber Gewinn zu verschaffen, motiviert werden.1 Man hilft anderen, um soziale Anerkennung zu erhalten oder um Ablehnung bzw. Kritik wegen unterlassener Hilfe zu vermeiden. Positives Verhalten kann also zurückzuführen sein auf die Beachtung von sozialen Werten und Normen oder auf bestehende Umstände, die prosoziales Verhalten in bestimmter Hinsicht wünschenswert erscheinen lassen.

Zweitens kann die Motivation für positives Verhalten die Beachtung von Werten, Überzeugungen und Normen sein, die internalisiert, zu eigen gemacht, bzw. durch Erfahrung entwickelt wurden. Eine solche Einhaltung der eigenen Werte, Überzeugungen und Normen kann Selbstbelohnung, positive Gefühle und eine erhöhte Selbstachtung zur Folge haben, wo hingegen eine Abweichung von den eigenen Werten etc. zu Selbstbestrafung, Angst – und Schuldgefühlen, sowie zu verminderter Selbstachtung führen kann.

Drittens ist offenbar das Mitfühlen bzw. das Miterleben der Gefühle einer anderen Person, ein wichtiger Beweggrund für positives Verhalten. Dieses Nachvollziehen des Leidens einer anderen Person und die Aussicht auf dessen Milderung, sowie das Vorausahnen der Befriedigung und Freude eines anderen kann zu positivem Verhalten motivieren.

Bei der Entwicklung von prosozialem Verhalten spielen weniger moralische Appelle als vielmehr Lebenssituationen eine wichtige Rolle: Es ist beispielsweise unwahrscheinlich, daß eine moralische Haltung durch die Diskussion moralischer Fragen und Konflikte gefördert werden kann, wenn jemand in einer feindlichen und bedrohlichen Umwelt lebt, die Angst vor anderen Leuten, Feindseligkeit und eine ständige Sorge um das physische und psychische Überleben bewirkt.

Sowohl die Sozialisation als auch die verschiedenen Erfahrungen der Kinder müssen bei der Persönlichkeitsentwicklung in Betracht gezogen werden:

„Eltern und Lehrer üben einen Einfluß durch die Art und Weise aus, wie sie mit den Kindern interagieren, wie sie sie disziplinieren, was sie ihnen zu vermitteln versuchen, welche Beispiele sie ihnen geben usw. Sie üben auch ­ zusammen mit dem größeren kulturellen Umfeld ­ einen Einfluß aus durch die von ihnen vorgenommene Strukturierungen der Umwelt. Wie ist die Familie organisiert? Wie demokratisch oder autokratisch ist sie? Welche Rollen stehen den Kindern (den Heranwachsenden und den Erwachsenen) in der Familie und in der Kultur zur Verfügung? Welche Pflichten und welche Aufgaben werden den Kindern übertragen, bzw. von ihnen übernommen? Welche Struktur besitzt die Gruppe der Gleichaltrigen und wie beeinflußt sie die Interaktion zwischen Kindern? Zu welchen Verhaltensweisen werden Kinder angehalten und welche Verhaltensweisen werden auf sie gerichtet? (…) Welche Merkmale der Kultur, welche Sozialisierungspraktiken und welche Erfahrungen der Mitglieder dieser Kultur führen zu welchen Unterschieden im prosozialen Verhalten.“3

Im Bereich der Umwelterziehung werden zwei grundlegende Weisen unterschieden, wie umweltorientiertes Verhalten erreicht werden kann.4

  1. Die Förderung der Umweltmoral: Ein stärker umweltorientiertes Verhalten kann sich nur dann durchsetzen, so die Annahme, wenn das Bewusstsein und das Wissen um die Probleme vermehrt wird. Wichtige Maßnahmen bei diesem „Weg der Umweltmoral!“ sind zum Beispiel pädagogische Bemühungen in Kindergärten und Schulen sowie Aufklärungskampagnen und moralische Appelle.
  2. Ökonomische Belohnung: Die zweite Position bezweifelt den Wert eines hohen Umweltbewußtseins und betont demgegenüber die Bedeutung von ökonomischen Anreizen. Gefordert wird, die Anreize so zu setzen, daß umweltgerechtes Verhalten dem Einzelnen lohnenswert erscheint. Wichtige Maßnahmen aus der Sicht des „ökonomischen Weges“ sind dabei zum Beispiel, Preise, Steuern und Umweltzertifikate.

Empirische Untersuchungen haben deutlich gemacht, daß beide Positionen bei der Entwicklung von umweltorientiertem Verhalten wirksam sind.

Für den friedenspädagogischen Bereich kommen finanzielle Anreize wohl kaum in Frage. Belohnungen sind hier auf der Ebene sozialer Anerkennung, in der Rückmeldung derjenigen Personen und Gruppen, die das eigene soziale Umfeld bilden, zu suchen. Untersuchungen zeigen z. B., dass sozial engagierte Personen psychisch gesünder sind und auch über eine robustere körperliche Verfassung verfügen.5 Ihr Engagement führt zu einer Verbesserung des Selbstwertgefühls, zu größerem Verständnis für andere sowie zu einer stärkeren Bindung an eine Gemeinschaft. Für friedensförderndes Verhalten müssen deshalb Verhaltensmöglichkeiten im Sinne der Entwicklung von Ichstärke, von alternativen Konfliktlösungsmöglichkeiten und des Umgangs mit Aggressionen und Gewalt angeboten werden. Und es muß ein soziales Umfeld vorhanden sein, in dem dieses neue Verhalten gelernt und erprobt werden kann.

Neben prinzipiellen Erziehungs- und langfristigen Sozialisationseinflüssen sind auch situative Einflüsse für prosoziales Verhalten relevant. Folgende Zusammenhänge lassen sich dabei feststellen: 6

Je eindeutiger die Situation das jemand Hilfe benötigt, desto mehr Hilfe wird die Folge sein. Fehlende Eindeutigkeit führt häufig zu der Überlegung, dass irgendwelche helfenden Maßnahmen unangemessen oder lächerlich erscheinen könnten.

Je stärker die Hilfsbedürftigkeit, desto mehr Hilfe wird der Betreffende erfahren. Doch es gibt Ausnahmen, z. B. wenn der Aufwand für die helfende Person, die Opfer, die von ihr verlangt werden zu hoch, oder die potentielle Gefahr für sie ebenfalls sehr groß ist.

Je deutlicher die Umstände sind, einer bestimmten Person die Verantwortung aufzubürden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person Hilfe leistet. Die Verantwortung konzentriert sich auf eine Person, wenn sie die einzige ist, die Zeuge der Hilfsbedürftigkeit eines anderen wird; wenn sie die einzige ist, die helfen kann, auch wenn sie nicht unbedingt der einzige Zeuge ist, wenn sie über besondere Fähigkeiten verfügt, die für die Hilfe erforderlich sind, wenn sie zu der hilfsbedürftigen Person in einre besonderen Beziehung steht, wenn ihr aufgrund einer Führungsposition quasi automatisch die Verantwortung für Hilfeleistung zukommt usw.

Räumliche Nähe und die Dauer der Konfrontation mit einer leidenden Person sowie der Umstand, wie leicht oder wie schwer es ist, sich der Gegenwart der leidenden Person zu entziehen, wirken sich stark auf den Aufforderungscharakter für Hilfe aus.

Wenn mehr Entscheidung und größere Initiative von den helfenden Personen verlangt werden, wird die Wahrscheinlichkeit von Hilfe geringer.

Je mehr Mühe, Zeit, Energie, oder auch Risiko von dem Helfer gefordert werden, um so weniger kann man normalerweise Hilfe erwarten.

Wenn die zu leistende Hilfe unangemessen bzw. sozial nicht akzeptabel erscheint, so können situationsspezifische Regeln existieren, ­ beispielsweise, dass ein Kind an einer Aufgabe weiterarbeiten soll, oder dass es unangemessen ist, in einer fremden Umgebung in ein fremdes Zimmer zu gehen, die helfende Reaktionen hemmen, obwohl man das Leiden einer anderen Person wahrnimmt.

Eine enge Beziehung sowie bestimmte andere Bedingungen (z. B. das Wissen, dass man der gleichen Gruppe angehört) kann zur Identifikation mit einer anderen Person führen, wodurch mit größerer Wahrscheinlichkeit Mitgefühl (empathy) und andere Motive, die zu Hilfe führen, geweckt werden.

Feindselige Einstellungen verringern die Wahrscheinlichkeit von Hilfe.

Unmittelbar vorausgehende positive oder negative Erfahrungen bewirken unterschiedliche psychische Zustände die sich auf helfendes Verhalten auswirken: Wohlbefinden erhöht in der Regel die Wahrscheinlichkeit, anderen zu helfen, negative Zustände verringern sie manchmal.


1 Vgl. Ervin Staub: Entwicklung prosozialen Verhaltens: zur Psychologie der Mitmenschlichkeit. München u.a. 1981, S. 61 ff.
2 Vgl. ebd., S. 55 ff.
3 Ebd.. S. 61 f.
4 Vgl. Andreas Diekmann / Peter Preisendörfer: Wasser predigen, Wein trinken. Warum unser Engagement für die Umwelt oft nur ein Lippenbekenntnis ist. In: Psychologie heute, 5/94, S. 24.
5 Vgl. Psychologie Heute, Februar 1994, S. 8
6 Vgl. Staub, a.a.O., S. 52-54.
Bei situativen Einflüßen muß allerdings in Rechnung gestellt werden, wie Menschen sie erleben, welche Bedeutung sie für sie haben und welche Motivationen sie in ihnen wecken. Da die Menschen unterschiedlich sind, gibt es nur wenige Situationen, die einheitliche Auswirkungen auf ihr Verhalten haben.
Günther Gugel , Verein für Friedenpädagogik Tübingen e.V.