Kampfkunst und Gewaltprävention

Einleitung

Gewalt als eines der Merkmale der Evolution begleitet die Menschheit seit Ihrer Entstehung – und aus diesem Blickwinkel erkennt man bereits zwei sehr unterschiedliche Themenbereiche der Selbstbehauptung: Die Verteidigung gegenüber der widrigen Natur, gegenüber Nahrungskonkurrenten oder Raubtieren etwa, und die Selbstbehauptung innerhalb der sozialen Gemeinschaft. Wehrhaftigkeit zu besitzen, ist für beide Komplexe notwendig.

Im Laufe der menschlichen Entwicklung hat der Mensch sämtliche Nahrungs-Konkurrenten weit hinter sich gelassen und ihm gefährlich werdende Raubtiere (zumindest in den westlichen Ländern) in Zoos verbannt. Übrig geblieben als lebensbedrohende Gegner sind lediglich Bakterien, die sich in die Ordnung der Biologen schlecht einpassenden Viren und – der Mensch selbst. Aus diesem Grund stehen, setzt man sich mit dem Thema Selbstbehauptung und Selbstverteidigung auseinander, heute die zwischenmenschlichen Konflikte im Vordergrund.

Es lohnt sich aber durchaus, diese vorgestellten Gedanken im Blick zu behalten, einerseits weil menschliche Reaktionen auf Gefahr durch die Auseinandersetzung mit der auch feindlichen Natur erworben wurden, die so auf die heutige Umwelt nur noch schlecht passen, andererseits auch bezogen auf unsere übriggebliebenen mikrobiellen Feinde, die wir nicht nur mit der Hilfe der modernen Wissenschaft, insbesondere der Pharmakologie bekämpfen können, sondern auch durch ein starkes und gut funktionierendes Immunsystem.

Was ist Selbstverteidigung?

Bei dem Begriff „Selbstverteidigung“ denkt man wohl zuerst an ein Kampfgeschehen oder an spezielle Kampftechniken, die dazu dienen, den Angriff eines Gegners erfolgreich abzuwenden. Selbstverteidigung ist aber sehr viel differenzierter. Eine Freundin berichtete mir einmal die folgende Geschichte: Am späten Abend war sie auf dem Weg nach Hause. Der Weg war auf der einen Seite mit Häusern bebaut, auf der anderen Seite grenzte ein Park an. Während sie auf der Häuserseite ging, wurde sie auf der gegenüberliegenden Parkseite von einem fremden Mann begleitet, der sich etwas hinter ihr ihrem Schrittempo angepaßt hatte und immer zu ihr hinüber schaute. Bei meiner Freundin entstand in dieser sehr unklaren Situation eine Mischung aus Ärger und Angst. Der Ärger überwog schließlich und ohne nachzudenken blieb sie abrupt stehen, drehte sich zu ihm hin und brüllte ihn an: „Verschwinden sie endlich!“ Der fremde Mann machte einen Satz ins Gebüsch und verschwand, wie ihm geheißen ward. Dieses Beispiel für eine Selbstverteidigungssituation macht einiges deutlich:

  1. Selbstverteidigung ist nicht immer gleichzusetzen mit einer körperlichen Auseinandersetzung oder einem Kampf (Wie oben angesprochen ist auch die Stärkung des Immunsystems eine Art Selbstverteidigung).
  2. Man kann sich sogar schon dann bedroht fühlen, wenn noch ein relativ großer Abstand zu einer anderen Person besteht und man kann sich auch über eine größere Distanz schon zur Wehr setzen.
  3. Bedrohung ist häufig subjektiv. Es liegt im eigenen Empfinden, ob ich mich angegriffen fühle oder nicht. Entsprechend muß ich auch entscheiden, wann ich mich zur Wehr setze.

Aber es ist immer möglich, daß eine Situation wie die hier Erzählte in einer körperlichen Auseinandersetzung endet. Dafür gewappnet zu sein – sich effektiv wehren zu können, wenn einer körperlichen Auseinandersetzung nicht mehr aus dem Weg gegangen werden kann – ist die eine der häufigsten (und sicherlich auch ehrenhaftesten) Begründungen dafür, daß Menschen Kampfsport zu trainieren beginnen. Hier einige detaillierter ausgeführte Motive:

Verschiedenartige Motive, Kampfsport zu treiben

Meistens sind es spezifische Ängste, die Menschen überlegen lassen, in eine Kampfsport-Schule einzutreten.

  1. Eltern wollen, daß sich ihre Kinder besser schützen können, auf dem Schulweg, auf dem Schulhof, vor Anmache, davor, bestohlen zu werden.
  2. Andere Eltern haben die Vorstellung, daß ihr Kind – ihr Sohn – zu schüchtern, zu weich ist und erhoffen sich von Selbstverteidigungskursen ganz allgemein mehr Selbstbehauptung für ihr Kind.
  3. Frauen und Mädchen interessieren sich für Selbstverteidigungskurse weil sie lernen wollen, wie sie sich in brenzligen Situationen verhalten können, um nicht Opfer männlicher Gewalt zu werden.
  4. Generell möchten Menschen wissen, wie sie reagieren können, wenn sie Angriffe zwischen anderen beobachten, was sie tun können, wenn sie Gewaltsituationen auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln begegnen, ob und wie sie eingreifen können oder sollen.

Daneben gibt es allerdings auch Menschen, die lernen wollen, wie man selbst effektiv Gewalt ausüben kann, denn Gewalt auszuüben bedeutet, Macht auszuüben! Die Grenze vom „Ich will mich nur wehren können“ bis zum Hooligan ist durchaus fließend, wie man leicht am Punkt 2 der Liste ausführen kann: Denn die Frage ist immer, wann setze ich selbst Gewalt ein: Wenn ich auf die rechte Wange geschlagen wurde? (Diese Frage würde sicher fast jeder mit ja beantworten, auch wenn er sich den christlichen Idealen verpflichtet fühlt.) Wenn mich jemand anspuckt? Wenn mich jemand beleidigt? Wenn sich jemand vor mir in die Schlange drängelt? Wenn mir jemand dumm kommt? Wenn jemand für die gegnerische Mannschaft brüllt? Und es gibt da noch die unverhältnismäßige Reaktion – etwa auf einen Rempler mit einem gezielten Tritt zum Kopf zu reagieren – die aus dem Verteidiger und Opfer leicht auch einen Täter machen kann.

Daneben tritt noch unser aller ererbter natürlicher Hang zur Aggression. Konrad Lorenz (1974) glaubt: „daß der heute Zivilisierte überhaupt unter ungenügendem Abreagieren aggressiver Triebhandlungen leidet …daß die intra-spezifische Selektion dem Menschen in grauer Vorzeit ein Maß von Aggressionstrieb angezüchtet hat, für das er in seiner heutigen Gesellschaftsordnung kein adäquates Ventil findet.“

Daraus folgt, daß man zwei Fallunterscheidungen treffen muß, wenn es um Kampfsport geht. Man muß sowohl die Seite des potentiellen Opfers (pO) als auch die Seite des potentiellen Täters (pT) betrachten:

  • pO: kann ich mich gegebenenfalls verteidigen oder gar Gewalttaten verhindern, wenn ich Selbstverteidigung beherrsche?
  • pT: Trägt Kampfsport zur Brutalisierung bei oder kann er im Gegenteil dazu beitragen, daß ein Mensch erst gar nicht zum Täter wird?

Generell kann man wohl sagen: Je brutaler eine Kampfsportart ist, desto reizvoller ist sie für diejenigen, die Konfliktlösungen durch Gewalt friedlichen Lösungen vorziehen.

Das Kampf-Flucht-Verhalten

Das Kampf-Flucht-Verhalten ist (neben dem Erholungs- und Fortpflanzungsverhalten) eines der zwei Grundprogramme des menschlichen Verhaltens. Um in der Natur überleben zu können, sind schnelle und effektive Aktionen erforderlich. Dafür wird der Körper nach einem biologisch fest verankerten Notfallplan von einer Sekunde auf die andere in einem Alarmzustand versetzt.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Steinzeitmensch und liegen nach einem üppigen Mahl in der Sonne auf einem warmen Stein. Sie sind zufrieden und geben sich angenehm entspannt allein Ihrer Verdauungstätigkeit hin. Plötzlich hören Sie ganz in ihrer Nähe das typische Rasseln einer Klapperschlange. Vermutlich sind Sie augenblicklich nicht mehr schläfrig sondern hellwach, Herzschlag und Blutdruck sind erhöht, die Muskeln gespannt, die Augen weit aufgerissen. Mit anderen Worten, Ihr Aktivitätsniveau ist sprunghaft angestiegen. Sie müssen jetzt nur noch entscheiden, was Sie mit der bereitgestellten Energie anfangen wollen. Entweder Sie erschlagen die Schlange mit einem Stock (Kampf) oder Sie nehmen Reißaus (Flucht). Diesen Komplex körperlicher Reaktionen nennen die Psychologen daher Kampf-Flucht-Verhalten.

Dieses Grundprogramm wird über das autonome Nervensystem und über Hormone gesteuert – wir haben keinen Einfluß darauf. Wir werden gar nicht erst gefragt, ob uns die Klapperschlange erschrecken soll oder nicht. Wir sind innerlich schon im Streß, bevor wir überhaupt begriffen haben, was los ist. Die Streßreaktion mobilisiert unsere gesamten Energiereserven – alle Kraft sollte uneingeschränkt zur Verfügung stehen, alles Störende muß ausgeblendet werden (vgl. SCHERER et al. 1985). Das Herz beginnt schneller und kräftiger zu schlagen. Die Atemfrequenz erhöht sich. Auf der Haut wird Schweiß freigesetzt, einerseits um den Körper zu kühlen, andererseits um die Haut glitschiger zu machen – Gladiatoren wußten, wozu das gut ist. Die Nackenhaare sträuben sich. Für uns Menschen ist das nicht mehr von Bedeutung, aber bei den meisten Tieren ist das Aufrichten des Felles oder des Federkleides immer noch ein probates Mittel, um Gegner einzuschüchtern. Ein Fell mit dem wir uns aufplustern können, haben wir zwar nicht mehr, aber über eine veränderte Körperhaltung können wir sehr wohl versuchen, uns größer und bedrohlicher wirken zu lassen. Man richtet sich auf, hebt das Kinn, drückt die Brust heraus und winkelt die Arme etwas vom Körper ab, schon wirkt man größer und bedrohlicher.

Die Kampf-Flucht-Vorbereitung geht aber noch weiter. Jeder kennt das Gefühl, wenn durch einen Schreck Adrenalin freigesetzt wird. Adrenalinausschüttung ist eine der vielen Veränderungen, mit denen der Körper sich fit macht. Neben Adrenalin werden noch weitere Botenstoffe im Gehirn und im Körper freigesetzt, darunter auch Stoffe, die schmerzunempfindlich machen. Im Augenblick höchster Erregung ist nicht die Zeit, Wunden zu lecken. Es ist bekannt, daß unter Schockeinwirkung selbst schwerste Verletzungen von den Opfern zunächst gar nicht richtig wahrgenommen werden. Dies ist sinnvoll, denn im Augenblick der Gefahr geht es darum, die unmittelbare Bedrohung abzuwenden. Das erhöht die Chance, daß man hinterher überhaupt Zeit zum Jammern hat.

Es ist wichtig zu bedenken, daß diese Reaktion als ein nur kurzfristig andauernder Zustand angelegt ist. Nachdem man ein Raubtier besiegt beziehungsweise erfolgreich abgeschüttelt hat, müssen sich die Körperfunktionen wieder auf einen anderen Zustand regulieren. Der Streß ist vorbei und wir können uns nun eine kleine Rast gönnen oder uns wieder unserer Verdauung widmen. Was passiert, wenn dieses Zurückregulieren nicht mehr in ausreichendem Maße gelingt und wenn der Körper zu lange oder zu häufig in diesem Alarmzustand verbleibt, sehen wir heute an dem breiten Spektrum psychosomatischer Erkrankungen, die mit Streß in Verbindung gebracht werden. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Kopfschmerzen, Unfruchtbarkeit und viele andere Symptome.

All diese Beschwerden entstehen aber erst aus lang andauerndem Streß. Als kurzfristige Reaktion ist Streß sogar etwas sehr Gesundes. Streß und Bewegung trainieren den Körper und halten uns fit. Problematisch ist, daß heutzutage sehr häufig Streß entsteht, der Körper macht sich für Kampf oder Flucht bereit, aber es gibt keine Möglichkeit, die bereitgestellte Energie abzuarbeiten. Wenn der Computer, an dem ich diesen Text schreibe nicht macht, was ich will, und mich dadurch unter Streß setzt, macht sich mein Körper zum Kampf oder auch zur Flucht bereit. Ich hätte dann zwar manchmal Lust, entweder das Gerät aus dem Fenster zu werfen oder laut brüllend in den Park zu fliehen, aber ich muß diesen Impuls gegen meine Natur unterdrücken.

Streß und Gewalt bzw. Kampf hängen also entwicklungsgeschichtlich unmittelbar zusammen. Der „normale“ Streßabbau erfolgte über den Kampf oder über die körperliche Verausgabung durch die Flucht. Diese einfachen Reaktionen sind in unserer Gesellschaft nicht mehr adäquat – uns erschreckt kein Raubtier mehr, vor dem wir weglaufen könnten, sondern wir müssen übernächste Woche eine Arbeit abgeben, aber eigentlich können wir es bis dahin gar nicht schaffen. Dann staut sich Streß zu einem Dauerzustand, der sich in Abständen (z. B. samstags im Fußballstadion) in ungerichteter Aggressivität entladen kann. Auch wenn Gewalt sicher nicht monokausal auf unverarbeiteten Streß zu reduzieren ist, hilft gezielter Streßabbau durch sportliche Wettkämpfe, aggressive Grundstimmungen kleinzuhalten und ist damit eine wichtige Strategie zur Gewaltprävention – Kampfsportarten (und mit ihnen die meisten anderen Sportarten, in denen man sich „auspowered“) geben Gelegenheit Streß abzubauen und beugen damit vor, daß aus dem potentiellen Täter ein wirklicher Täter wird.

Verschiedene Kampfkünste

Die Vielfalt der Kampfsportarten ist heute unübersehbar geworden, vor allem wohl auch aus dem Grund, weil jeder Spitzenmann (oder seltener -frau) in dieser Szene früher oder später meint, seine (ihre) eigene Stilrichtung propagieren zu müssen. Dazu kommt noch das Crash-Kurs-Angebot, das Frauen gegen „männliche Gewalt“ fit machen soll. Diese Kurse sind etwas anders zu betrachten als das übrige Angebot aus der Kampfsportszene.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Kampfsportarten

Fitneß

Zunächst ist unbestreitbar, daß alle Kampfkünste schweißtreibend sind, sich im Sinne der körperlichen Fitneß also auf alle Fälle bezahlt machen. Es wird oft übersehen, daß allein schon das neudeutsch genannte Workout (und damit jeder anstrengende Sport) seinen Teil zur Gewaltprävention sowohl bei den potentiellen Tätern wie auch bei den potentiellen Opfern beiträgt. Für pT gilt: Streß wird durch körperliche Anstrengung abgearbeitet, damit schwindet die Kampfbereitschaft und der Drang sich zu entspannen nimmt zu – der Grund für mich, das Kampf-Flucht-Verhalten in den theoretischen Vorspann dieses Aufsatzes zu stellen: Nebenbei wird das Immunsystem gestärkt, was uns gegenüber unseren übriggebliebenen natürlichen Feinden, den Bakterien und Viren Vorteile bringt. Generell wächst das körperliche Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl, was wiederum zufriedener macht und damit Streß aus der Gemeinschaft nimmt. Denn kränkelnde Menschen neigen zur Unzufriedenheit, erhöhen damit den Streß in einer Gemeinschaft und schüren damit auch die Gewaltbereitschaft. Und von jugendlichen Straftätern weiß man, daß sie meistens ein stark gestörtes Selbstwertgefühl besitzen (Aber natürlich kann Sport nur einen Teil einer Rehabilitation von Tätern darstellen, da Verhaltensdispositionen sich weder monokausal aufbauen noch auf so simple Art wieder verlernt werden).

Dauerstreß vermindert die Gedächnisleistung und führt damit zu schlechteren Leistungen in der Schule, was zu Frust führt und die Gewaltbereitschaft erhöht – die Römer sagten nicht umsonst: in corpora sana mens sana (eine lateinische Redewendung. Sie bedeutet „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“).

Fitneß ist auf der Seite der pO ebenfalls eine der besten Präventionen gegen Gewalt. Denn Opfer von Gewalt werden eher Menschen mit Opfermentalität. Wer durch seine Körpersprache ausdrücken kann: ich bin stark, wird dagegen wohlweislich in Ruhe gelassen. Selbstverteidigung fängt eben schon viel früher an als bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung, wie in der einleitenden Geschichte dargelegt wurde (Im Zweifelsfall kann man außerdem schneller weglaufen).

Turnierkämpfe

In vielen Kampfsportarten wird die Möglichkeit gegeben, Turnierkämpfe abzuhalten. Diese Ritualisierung der Gewalt ist ebenso eine wichtige Art der Gewaltprävention (auf Seiten pT). Generell kann man bis auf wenige Ausnahmen davon ausgehen, daß sehr engagierte Kampfsportler ihre Kunst nicht mißbrauchen, wahrscheinlich aus diesen drei Gründen:

  1. Sie haben mehr als genug Möglichkeiten, ihren Kampf/Flucht-Streß abzuarbeiten.
  2. Rangkämpfe werden über den Turnierkampf erledigt.
  3. Körperliches Wohlbefinden und Selbstwertgefühl wachsen.​

Partnerübungen

Bei den meisten Kampfsportarten muß man sich während des Trainings mit einem Partner auseinandersetzen. Dies fördert (auf Seiten der pT) da hier das Prinzip Tit for Tat unmittelbar zutage tritt, die soziale Kompetenz der Kampfsporttreibenden: Bin ich unfair, wird es auch mein Übungspartner sein! Also bleibe ich in aller Regel fair. Aber hierbei gibt es weitreichende Unterschiede in der Methodik der einzelnen Kampfsportarten. In einigen Schulen wird, um die Beschädigungskämpfe gewinnen zu können, durchaus Aggressivität gefördert (Nebenbei gilt dies nicht nur für reine Kampfsportarten. Zu fragen wäre z. B., inwieweit die von einigen Fußballtrainern geforderte Aggressivität im Zweikampfverhalten zur Aggressivität auf den Stadionrängen beiträgt).

Verhaltenskodex

Bei vielen Kampfkünsten, besonders, wenn sie aus dem fernen Osten stammen, wird ein mehr oder weniger starker moralischer Überbau als Teil der Kampfkunst vermittelt. Bei japanischen Kampfsportarten ist dies vor allem das Budo, ein Begriff, der untrennbar mit der japanischen Kriegerkaste, der Samurai, verbunden ist. Dies ist am besten mit dem Rittertum des Mittelalters zu beschreiben: Vom Ritter des Mittelalters ist in Europa, im Gegensatz zu Japan, heute nur der Begriff: „ritterlich“ übergekommen, also eine Art Verhaltenskodex (Die technischen Aspekte des Rittertums, wie das Fechten in Rüstungen mit Breitschwertern sind dagegen weitgehend verloren gegangen). Ein Ritter mußte an seinen Fähigkeiten im Kampf zu überleben und an seinen Verhaltensweisen arbeiten. Dies ungefähr meint auch der Begriff Budo: Kampfkunst und Ehrenkodex.

Das ist übrigens durchaus auch im westlichen Boxen nicht anders, wo es den folgenden starken moralischen Aspekt gibt: Man ist sportlich fair, Tiefschläge sind untersagt usw. Ein weiterer positiver Einfluß auf den pT, Kampfsportarten ausüben, ist also zu lernen, sich an Regeln und Grenzen zu halten.

Gewaltausübung

Die letzte hier aufgeführte Gemeinsamkeit über die Kampfsportarten hinweg ist trivialerweise, daß sich alle Kampfsportarten mehr oder minder intensiv damit beschäftigen, wie man einem anderen Menschen Leid zufügt. Das ist die generelle Gemeinsamkeit. Die Art dieser Gewaltanwendung ist aber gleichzeitig das Merkmal, an dem man die verschiedenen Kampfkünste unterscheiden muß: Je brutaler die Kampfsportarten sind, als desto zweifelhafter müssen sie im Sinne der Gewaltprävention (pT) angesehen werden.

Selbstverteidigung für Frauen

Die Angst von Frauen, Opfer einer Vergewaltigung zu werden, ist weit verbreitet und erklärt den Boom von Crash-Kursen zur Selbstverteidigung/-behauptung für Frauen. Diese Kurse haben, wenn sie gut gemacht werden, sicher ihre Berechtigung, da es sich gezeigt hat, daß Gegenwehr hilft. Da diese Kurse meistens nur einige Stunden lang sind, kann hier nur Grundsätzliches gelehrt werden. Ob das ausreicht, genügend Selbstbewußtsein aufzubauen, um sich tatsächlich zu wehren, kann ich nicht abschätzen, aber mir scheint bei diesen Kursen das Aufwand-Ergebnis-Verhältnis als durchaus günstig. Denn jede Frau kann sich wehren, auch wenn sie nie spezielle Techniken einstudiert hat – meistens reicht es aus, sich überhaupt irgendwie zu wehren. Will man sich aber effektiv wehren können, muß man sich entweder bewaffnen oder eine richtige Kampfsportart betreiben. Dafür reicht es wahrscheinlich nicht, zu wissen, daß man einem Mann am besten zwischen die Beine tritt.

Die sportlichen Aspekte ergeben sich bei diesen Kursen natürlich auch nicht – wer fit sein will mit den Vorteilen, die Fit-Sein bringt (verbessertes Körpergefühl, höheres Selbstvertrauen, gesteigerte Selbstwahrnehmung), muß ständig üben.

Resümee: Kampfsport und Jugendgewalt

Jede sportliche Betätigung baut Streß und damit auch Aggression ab und gleichzeitig das Selbstwertgefühl auf. Beides dient in hohem Maße der Gewaltprävention.

Auf der Seite der pO ist die Fähigkeit, sich wehren zu können wichtige Grundlage für das Funktionieren jeder zivilisierten Gemeinschaft. Eine Erhöhung der Wehrhaftigkeit auf dem Schulhof auf Seiten der pO fördert die Bereitschaft zur Zivilcourage und macht Täter vorsichtiger.

Die prinzipielle Einsicht, sich wehren zu können, reicht wahrscheinlich schon in vielen Fällen aus, um sich als Mädchen oder Frau gegen männliche Gewalt erfolgreich zu wehren, was einen Crash-Kurs als Schul-Event- Angebot für Mädchen sinnvoll erscheinen läßt.

Kämpfe wie im Judo sind gerade für Jugendliche eine bewährte Methode, Rangkämpfe in rituelle Bahnen zu lenken und erübrigen die gewaltsame Auseinandersetzung auf dem Schulhof.

Partnerübungen, solange sie nicht Aggressionen fördern, entwickeln die soziale Kompetenz, sportliche (oder weltanschauliche) Regeln setzen Grenzen – beides sind notwendige Voraussetzungen für adäquates soziales Verhalten. Gerade Problemkindern kann in verantwortungsbewußt geführten Kampfsportschulen geholfen werden, ihre Defizite auf diesen Gebieten aufzuarbeiten.

Dagegen sind überall, wo Beschädigungskämpfe Teil des Trainings sind, Vorbehalte angebracht, daß hier Jugendliche ihre Fähigkeiten zur Gewaltausübung lediglich ausweiten.

Literatur:

  • AXELROD, R. (1997, 4. Aufl.): Die Evolution der Kooperation Oldenbourg
  • LORENZ, K. (1974): Das sogenannte Böse. – München
  • RIDLEY, M. (1997): Die Biologie der Tugend. –Warum es sich lohnt, gut zu sein. – Berlin
  • WISCHNEWSKI, G. (1969): Aikido. – Falken Bücherei Bd. 0248. – Wiesbaden.
  • SCHERER, K.R., H.G. WALLBOTT, F.J. TOLKMITT & G. BERGMANN (1985): Die Streßreaktion: Physiologie und Verhalten, Goettingen.
  • TOP FIGHTER (International Magazin) (1998): Masters & Styles.​