Zivilcourage
Die meisten Menschen sagen laut, dass sie Zivilcourage gut finden und denken leise, dass sie sich lieber aus dem Staub machen würden, wenn sie merken: oh, hier passiert etwas, da müsste „man“ eingreifen. Klar, zu Zivilcourage gehört Mut, aber selbstzerstörerisches Heldentum ist nicht gefragt. Beim Eingreifen in brenzlige Situationen sollten ein paar wenige Grundregeln beachtet werden:
- Holt euch Hilfe
- Greift die Angreifer nicht körperlich an
- Kümmert euch um das Opfer
- Holt schleunigst die Polizei
Es ist nützlich, sich sozusagen nur als Trockenübung zu überlegen, in welche schwierigen Situationen man kommen könnte, wie man sich dann fühlt und was man am besten tut. Das empfiehlt zum Beispiel auch die Kampagne „Zehn Punkte für Zivilcourage“ (siehe weiter unten).
Vielleicht haben die beiden jungen Münchner mit türkischen Eltern, die im Januar dieses Jahres vorbildlich Zivilcourage gezeigt haben, sich vorher schon mal überlegt, wie sie reagieren können, wenn sie in ausländerfeindliche Aktionen verwickelt werden. Wir wissen es nicht. Sie haben auf jeden Fall genau richtig gehandelt.
Passiert ist folgendes: Die beiden jungen Münchner, Erkan und Taner, kommen an einem Freitag nachts um eins mit Freunden aus ihrer Kneipe und sehen, wie keine zehn Meter entfernt fünf Skinheads auf einen Mann am Boden einschlagen, mit ihren Stiefeln in sein Gesicht treten. Sie rufen ihren Kumpels zu: Holt die Polizei – siehe Regel 1 und 4 – rennen auf die Schläger zu und schreien – siehe Regel 2. Die Skins lassen von ihrem Opfer ab, und Erkan fragt den Mann: „Alles Ordnung“. Die Kumpels kommen zu Hilfe und ziehen den Mann weg – siehe Regel 3. Die Skins laufen in ihre Kneipe, holen Verstärkung gegen „die Kanaken“, die ihnen ihr Opfer, einen jungen Griechen, weggenommen haben. 60 Neonazis kommen aus der Kneipe, aber die Polizei kommt auch.
Danach: Die Familien von Erkan und Taner haben Angst, dass die beiden Jungen Opfer von Racheakten der Neonazis werden. Erkan und Taner ärgern sich, dass sie als „Ausnahme-Türken“ gefeiert werden. Sie finden, sie sind nicht die Ausnahme, sondern das übliche Bild von den Türken ist eben falsch.
(Der Vorfall ist nacherzählt nach einem Artikel „Einbruch in die Gemütlichkeit“ aus der Süddeutschen Zeitung vom 16. Januar 2001.)
ZEHN PUNKTE FÜR ZIVILCOURAGE
In unserem Land werden Menschen in aller Öffentlichkeit angegriffen, beleidigt, bedroht und sogar ermordet. Sie werden Opfer, weil ihre Haut nicht weiss ist, sie einen anderen Gott anbeten oder anders denken und leben als die meisten von uns. Das darf nicht sein. Das muss nicht sein, denn wir können ihnen helfen. Wir können helfen, indem wir unsere eigene Angst überwinden und einschreiten, wenn andere in Gefahr sind. Die folgenden zehn Punkte für Zivilcourage sagen wie:
- 1. SEI VORBEREITET
Denke Dir eine Situation aus, in der ein Mensch belästigt, bedroht oder angegriffen wird (z. B. ein farbiges Mädchen wird in der U-Bahn von zwei glatzköpfigen Männern angepöbelt).- Überlege, was Du in einer solchen Situation fühlen würdest
- Überlege, was genau Du in einer solchen Situation tun würdest
- 2. BLEIBE RUHIG
Konzentriere Dich darauf, das zu tun, was Du Dir vorgenommen hast. Laß Dich nicht ablenken von Gefühlen wie Angst oder Ärger
- 3. HANDLE SOFORT
Reagiere immer und sofort, warte nicht, dass ein anderer hilft. Je länger Du zögerst, desto schwieriger wird es, einzugreifen
- 4. HOLE HILFE
In der S-Bahn: nimm Dein Handy und rufe die Polizei oder ziehe die Notbremse im Bahnhof
Im Bus: alarmiere den Busfahrer
Auf der Straße: schreie laut, am besten „Feuer!!!“, darauf reagiert jeder (In geschlossenen Räumen besser nicht „Feuer“ schreien, das kann dort zu Massenpanik führen)
- 5. ERZEUGE AUFMERKSAMKEIT
Sprich andere Zuschauer persönlich an
Ziehe sie in die Verantwortung: „Sie in der gelben Jacke, können Sie bitte den Busfahrer rufen“
Sprich laut. Deine Stimme gibt Dir Selbstvertrauen und ermutigt andere zum Einschreiten
- 6. VERUNSICHERE DEN TÄTER
Schreie laut und schrill. Das geht auch, wenn die Stimme versagt
- 7. HALTE ZUM OPFER
Nimm Blickkontakt zum Opfer auf. Das vermindert seine Angst
Sprich das Opfer direkt an: „Ich helfe Ihnen“
- 8. WENDE KEINE GEWALT AN
Spiele nicht den Helden und begib Dich nicht unnötig in Gefahr
Setze keine Waffen ein (Diese führen häufig zur Eskalation)
Fasse den Täter niemals an, er kann dann schnell aggressiv werden
Lasse Dich selbst nicht provozieren, bleibe ruhig
- 9. PROVOZIERE DEN TÄTER NICHT
Duze den Täter nicht, damit andere nicht denken, Du kennst ihn
Starre dem Angreifer nicht direkt in die Augen, das könnte ihn noch aggressiver machen
Kritisiere sein Verhalten, nicht aber seine Person
- 10. RUFE DIE POLIZEI
Beobachte genau und merke Dir Gesichter, Kleidung und Fluchtweg der Täter
Erstatte Anzeige und melde Dich als Zeuge